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Reiseinformationen für Kapstadt und Südafrika | Tafelberg nach Sonnenuntergang

Rovos Rail - Der Traum vom Sein in einer Zeitmaschine

Die Überraschungen nehmen kein Ende, noch bevor die Zugreise beginnt. Sollte er nicht zum Bahnhof fahren, dort drüben in Pretoria? Der angesprochene Taxifahrer schielt über die Schulter. „Aber Sie haben doch gesagt, dass Sie mit Rovos Rail reisen“ erwidert er und auf ein Kopfnicken und trotz eines „Ja, aber“, stellt er wenige Augenblicke später den Motor vor einem fein anzusehen Bahnhof mit Namen Capital Park Station ab.

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Rovos Rail, the most luxurious train in the world: Pretoria to Cape Town trip report

Seine Selbstsicherheit duldet keinen Widerspruch und das Gepäck steht ohnehin schon auf dem Bürgersteig. Das heißt, dort stand es, denn geschwind eilen livrierte „Porterboys“ herbei und komplementieren alles hinein in das elegante Bahnhofsgebäude.

Capital Park Station war einst ein Verkehrsknotenpunkt, man sieht es. Fünfzehn Schienenstränge zeugen von einstmals verkehrsreichen Zeiten und das heute english stylishe Ambiente des backstei-nernen Art Deco-Bahnhofs vermittelt den Charme jener „guten alten Tage“ deutlicher denn je. Denn was in jüngster Zeit mit Capital Park Station geschah, kann nach der liebevollen und aufwändigen Renovierung getrost als der schönste Bahnhof der Welt bezeichnet werden. In dem man sich, ohne es forciert zu haben, wie von einem angenehm weichen, warmen Kokon umgeben fühlt.

Und eine Menge geboten bekommt - allein das ständig wachsende Railway Museum, das in nächster Zeit zu einem interaktiven Museum anwachsen wird, was in dieser Art auch einzigartig sein wird.  Man erfährt schnell, dass Superlative die einzig mögliche Präsentationsform des „Erlebnisses Rovos Rail“ ist. Zeugnis dafür ist auch das Victoria Hotel in Pretoria selbst, das 1892 von einem Herrn Hambourg erbaut worden war und von Rohan Vos, dem Besitzer des Rovos Imperiums, Mitte der 1990er zu neuem Leben erweckt worden war. Um die Gäste vor Abfahrt des Rovos Rail in feinem victorianischen Stil willkommen zu heißen und um die Büros der damals noch nicht so weit expandierten Firma an einem Ort zu haben.

Primär aber sah Rohan Vos „The Victoria“ nicht allein als Relikt altbritischer Kolonialarchitektur. Der Mann, der den prächtigsten Zug ganz Südafrikas aus hundert Jahre alten Wagons und Dampflokomotiven eigenhändig restauriert und zusammengebaut hat, sah in dem alten Hotel ein Pendent zu seinen Zügen. Und weil er in jenen Tagen ohnehin in nichts anderes involviert war, als aus-schließlich alte Prachtstücke zu renovieren, kam das „Victoria“ auch gleich dran und ist heute das charmanteste Hotel in Pretoria, einer der beiden Regierungshauptstädte Südafrikas. (Kapstadt und Pretoria fungieren im halbjährlichen Wechsel als Sitz der südafrikanischen Parlamentskammern.)

Capital Park Station

Charmant war das Hotelchen, das heute nicht mehr zu Rovos Rail gehört, das aber noch immer ein Aushängeschild jener Stadt ist, in der Nelson Mandela am 9. Mai 1994 als erster schwarzer Präsident in der Geschichte Südafrikas vereidigt wurde.

Charmant im Sinne von konsequent englischem „Lifestyle a hundred years ago“. Wer solcherart Ambiente liebt, der wird sich auch im Capital Park Station wohlfühlen wie in Großmutters Landhaus zu Weihnachten. Doch, doch, wir reden noch immer über einen Bahnhof. Wobei das so nicht stimmt. Denn wir sprechen vom schönsten Privatbahnhof der Welt. Ach was, vom überhaupt schönsten Bahnhof der Welt.

Mittlerweile treffen nacheinander die Damen und Herren Mitreisenden ein. Tony und Henry aus Texas begrüßen Herman und Eloise aus Kalifornien. Ach, und da ist ja auch Peter aus Johannesburg, der schon bei der letzten Fahrt nach Dar es Salam und bei der nach Knysna dabei war, und nein, Ria und Sohn Gerhard sind auch wieder mit von der Partie. Welche Freude! Schulterklopfen, Küsschen hier, Küsschen da. „Do you remember?“ Sind denn hier nur Stammgäste? Doch nein, nicht alle Gäste kennen einander, aber die scheinbare Freude, auch neue Rovosianer kennenzulernen, ist grenzenlos.

Und nicht alle sind mit Krokodil- oder Rossledernen Koffersets angereist. Da ist das alte Ehepaar aus Leipzig, das einmal im Leben in einem Luxuszug fahren will. Das junge Paar auf Hochzeitsreise wird von den Eltern im Bahnhof abgeliefert. Der belgischstämmige Yuppie aus Kapstadt, der schon jetzt zu viel trinkt, wird später erzählen, dass er die Reise seiner Frau zur Versöhnung wegen eines Seitensprungs hatte schenken müssen. Und das flotte, schon recht betagte Ehepaar aus Mosambik stellt sich als Botschaftereminenz in Südafrika heraus.

Rohan Vos

So schwirren Namen und Vorstellungsfetzen in der Bahnhofshalle umher, beim Parlieren süppelt man wie en passant am Champagner und irgendwann steht Rohan Vos zwischen den Grüppchen. Dieser hochgewachsene Gentleman mit der akkuraten Scheitelfrisur, der fein in maßgeschneiderten Zwirn gewandet ist, er soll der Typ sein, der selbst im Smoking noch einen Schraubenzieher mit sich herumträgt, für den Fall, dass in einem der Züge und Wagons seiner Flotte während der Fahrt irgendwas kaputt geht? Entweder ist das ein Gerücht oder dieser charismatische Mann ist nicht Rohan Vos!

Doch er ist es, die schwieligen Hände und das Blitzen in seinen Augen, wenn er von der bevorstehenden Zugfahrt spricht, beweisen es. Und schnell wird klar: Wir haben nicht irgendeinen Zug von Pretoria nach Swakopmund gebucht, sondern „The Pride of Africa“. Minuten später steht er da, The Train, und man denkt sich, dass alte Züge, genau wie alte Damen nur in sanftem Licht betrachtet werden dürften. Es wird Abend in Pretoria und die Sonne hat einen goldgelben Schein angenommen.  Ihre Strahlen lassen das Grün der Wagons noch dunkler erscheinen, blitzen hier an messignen Einsteiggriffen auf und glitzern auf den geschlossenen Läden der Abteile. Sie haben die dunkelrote Dampflokomotive bis in alle Winkel ihrer altmodischen Form erfasst und das Messing der Armaturen, der Signalpfeife, der Schornsteinverzierungen und der Griffe an den schweren Ofentüren glänzen mit dem Wappen von Rovos Rail um die Wette. Angesichts dieser Schönheit kann ich plötzlich Eisenbahnenthusiasten verstehen, bekomme selber Schmetterlinge in den Bauch vor Vorfreude. Das „Ereignis Rovos Rail“ hat mich gefangen.

Der Zug ist ein Verführer in unwiderstehlicher Manier. Schon wie er zur Abfahrt bereit steht und dicke weiße Qualmwolken in den verdunkelten Abendhimmel schickt, stellt er die Verheißung ei-nes ungewöhnlichen Abenteuers dar. Und dann führt Monica, „meine“ Hostess und Ansprechpartnerin während der Reise, mich in „meinen“ Wagon. Gedämpftes Licht lässt die Mahagonipaneelen im Gang wie mit Seide bespannt aussehen, das Geräusch der Schritte wird von dicken Teppichböden verschluckt und das Abteil mit dem Namen Okavango, in dem ich während der nächsten drei Nächte schlafen werde, ist ein großzügiger Raum, eine Suite, mit Schreibtisch, einem riesigen Bett, Schrank und eigenem Badezimmer.

Die beherrschenden Farben dunkelgrün, mahagoni und messing sind von blumengemusterten Deko-rationsstoffen auf dem Bett ergänzt. Blumen, echte, auch in der Sitzecke und Kekse, Obst und – Champagner auf dem Tisch. Monica erklärt mittels Fernbedienung, dass die Klimaanlage zur Heizung umfunktioniert werden kann – falls es kalt wird – und wie die Bettheizdecke ab- und einge-schaltet wird. Sie bittet auch, bei offenem Fenster nur mit Schutzbrille herauszuschauen und diese beim Aufenthalt auf den Tendern zu tragen – damit man von umherfliegenden Rußteilchen nicht verletzt wird.

Keine Schraube in dem Abteil ist sichtbar, die nicht aus Messing wäre, alles technische Interieur wie Steckdosen liegt versteckt, Bar und Tresor sind hinter Mahagonitüren verschwunden, die Schiebefenster in den massiv hölzernen Rahmen tragen in der Mitte das stilisierte Bild eines Springbockes, die Lampen sehen alle aus wie die von Anno Dazumal, und das Wandtelefon ist aus schwerem, schwarzen Bakalit. Die Harmonie des Ambientes ist einfach perfekt. In diesem Com-partment schläft man nicht einfach, hier residiert man.
Welch ein Luxus, welch ein Behütetsein, welche Abgeschiedenheit zu draußen! Da zieht gerade die Welt der Außenbezirke von Johannesburg vorbei und knapp 70 Menschen gastieren in einer Welt mit Namen Rovos Rail. Sie ist eine fahrende Schatulle, aus vielen Fächern, die alles, was ihr anver-traut wurde, vor der Außenwelt verbirgt und deren Einflüsse ausschließt.

Henry aus Texas wird mir am nächsten Tag erklären, dass er auch schon im Blue Train gefahren ist und im Orient Express und dass er den Aufenthalt in solchen Enklaven braucht, um seinen harten Alltag als Rindfleischmillionär bewältigen zu können.

Na ja, nicht alle Reisende im Rovos Rail tragen derart schwere Lasten mit sich herum, wie gut für Henry, dass die Bar scheinbar nicht leer zu trinken ist. Ohnehin sind die meisten Zuggäste ausschließlich an dieser wunderbaren Zeitmaschine interessiert. An diesem Lebensgefühl, jener fast vergessenen Art Reisen als Erlebnis genießen zu wollen. Denn nicht anders und in diesem Ambiente sind die Lords und Großwildjäger vor hundert Jahren durch Afrika gereist. Man sieht die Herren vor sich, wie sie in dunkle Anzüge gekleidet, mit blankgewichsten Schuhen an den Füßen und die dezent gemusterte Krawatte auf der gestärkten Hemdbrust, das Monokel im Auge ihrem bevorzugten Jagdgefährten gegenüber am reichlich gedeckten Tisch zum Dinner im Speisewagen sitzen. Oder war die Gattin mitgereist und sitzt in raschelndem Taft dabei oder die Geliebte in duftiger Seide?

Wie in diesen Jahren Anfang des Jahrhunderts sind die prächtige Holzverkleidung an der Decke, die Säulen zwischen den Tischen und die edlen Deckenventilatoren in diesen Tagen erneut Rahmen für eine elegante Szenerie, die durch Damasttischtücher, Silberbestecke, Limoges Porzellan und Kristallgläser auf den Tischen vervollständigt wird. Zumal alle Gäste der heute abend stattfindenden Tafelrunde nicht weniger angemessen gekleidet sind, als es diese Atmosphäre fordert. Schon mit Erhalt der Reisebestätigung war der diskrete Hinweis eingegangen, dass die „Zugreisenden es vorziehen, am Abend in eleganter Garderobe zu erscheinen“. Da ist das kleine Schwarze gerade noch so im Rahmen.

Es ist schon kurios, dass ansonsten betont coole Zeitgenossen sich mit Wonne diesem und anderer Diktate verstaubter Konventionen kritiklos hingeben und jene so sehr einverleiben, dass die Frage nach dem Sinn solch elitärer Regeln erst gar nicht gestellt wird.  Da geneißt man doch lieber den Bann  dieser faszinierenden Attraktion Rovos Rail und schmiegt sich dem Komfort an, nein, kuschelt sich adrin ein. Zum Essen, das natürlich eine gourmeteske Erfahrung höchster Güte darstellt, werden nur die besten Weine serviert, nur die edelsten Schnäpse und Liköre stehen zu Auswahl und nichts davon kann extra bezahlt werden, da auch dieser Konsum in den Preisen der jeweiligen Rovos Rail Reisne inbegriffen ist.

Gleiches gilt auch in der Bar, die im Observation Car, dem Aussichtswagon, eingerichtet ist. Nicht die Bibliothek ist so belagert wie dieser Wagen, nicht der Aufenthaltswagon und schon gar nicht die Abteile. Hier, dieser Wagon ist, zumindest während der momentanen Reise, der gesellschaftliche Mittelpunkt unserer gemächlich dahin schnaufenden Zeitmaschine. Herren, in bequemer Safarikleidung und ledernen Stiefel stehen lässig am Tresen, die eine Hand um das Whiskyglas gelegt, die andere lässig in der Hosentasche. In den gemütlichen Ohrensesseln entlang der Fensterfronten sitzt man bequem zum Zeitunglesen, Rausgucken und Klönen, und je später es wird am Abend, desto lauter werden die Stimmen, desto einnehmender die Gesellschaftsrituale und desto unkonventioneller die Umgangsformen. Dies erstaunlich freundschaftliche Verhalten untereinander verhält sich wie ein Dé jà-vu-Erlebnis zu den Begrüßungsritualen der schon eingeschworenen Rovos-Gemeinde im Victoria Hotel. Nun sind also alle eine große Familie.

Wann immer es seine Zeit erlaubt, taucht Rohan Vos auf und immer ist es so, als gäbe ein Royal sich die Ehre. Doch dafür kann er nichts, denn sein Charisma ist viel eher das eines Ölflecks an der Manschette oder das von schmutzigen Händen, von Hinweisen darauf, dass ihm eben noch ein Reparatur untergekommen war. Und wer genau zuhört, wenn er die Geschichten seiner Wagons und Loks erzählt, die er überall im südlichen Afrika auf Schrottplätzen, in Museen, auf Farmen als Hühnerställe oder einfach abgestellt und von Unkraut überwuchert zusammengesucht, gekauft und am Anfang Stück für Stück mit nur einem Gehilfen restauriert hat, ahnt, dass Rohan Vos viel lieber unter dem Zug herumkriecht, um dies oder das zu kontrollieren, als lässig parlierend an der Bar zu stehen. Der Rovos Rail ist sein Zug, sein eigenes Spielzeug, und während er grinsend Anekdoten erzählt, die sich halt immer wieder ereignen, wird er zum kleinen Jungen mit seiner heißgeliebten Spielzeugeisenbahn.

Vos ist ein Lebenskünstler und wenn man diesen Begriff mit der Definition von der „Kunst, das Leben zu genießen“ umschreibt, dann kommt man auch der Rovos Rail Philosophie nahe. Denn warum soll man nicht alle Annehmlichkeiten, die einer sich leisten kann und zudem sich leisten möchte, restlos ausschöpfen? Da steht der luxuriöseste Zug der Welt auf dem Bahnhof von Upington oder Kimberley, Komatipoort, Bulawayo oder Matjiesfontein und man selber, eben von einem Halbtagesausflug zurückgekehrt, soll vor dem erneuten Einsteigen nun nicht einen edlen Tropfen darauf trinken dürfen, dass man zu den Auserwählten dieser Nobelparty gehört?

Tja, so kann man den Widerspruch eines Luxuszuges inmitten einer Welt von ungelösten Problemen auch sehen - das alte Ehepaar aus Leipzig hatte sich ebenfalls Gedanken gemacht zu ihrer Rolle in diesem Umfeld und sie hatten beschlossen, einfach zu genießen.

Also muss man den Rovos Rail als etwas Eigenständiges verstehen, etwas, das nicht integriert wer-den kann in modernes, schnelllebiges Umfeld. Als Zeitmaschine in die Vergangenheit, als beweglicher Raum, der angefüllt ist mit Träumen und als Hort beinah vergessener Lebensart. Auch wenn es Tage dauert, bis man sich nach dem endgültigen Aussteigen wieder an den Rhythmus und die Facetten unserer Zeit gewöhnt hat und die Sehnsucht nach einer Wiederholung des Erlebnisses nicht weichen will, so soll man mir den doch zeigen, der sich dem Zauber einer Fahrt mit dem am liebevollsten restaurierten und stilvollsten Luxuszug der Welt, dem Rovos Rail entziehen kann.

Gerne auch auf die Gefahr hin, dass man den Rest seines Lebens mit einem weiteren Traum verbringen muss. Es gibt definitiv Schlimmeres.

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